IMI-Analyse 2025/16
„Ermächtigungsgesetz“ für die Kriegsindustrie
Historische Widerworte
von: Peter Bürger | Veröffentlicht am: 5. Juni 2025
Die Billionen, die in Europa und in der – gemäß Eigenaussagen – zukünftigen „Führungsmacht Deutschland“ jetzt mittels demokratiefeindlicher Verfahren für Hochrüstung und Weltkriegsertüchtigung freigemacht werden, sollten alle Klardenkenden erschüttern. Auf medialen Bühnen kursiert indessen bereits länger die vorbereitende Parole „Kanonen statt Butter“. Die Gewinner stehen schon fest. Die Finanzindustrie freut sich über anstehende „Staatsanleihen“, die die Geldvermehrungsmaschine am Laufen halten. Rüstungskonzerne und Aktionäre jubeln vorauseilend über gigantische Staatsaufträge für die Totmach-Industrien. Die Tilgung der endlosen Rüstungszinsen für die im Rausch befindliche militaristische Politik erfolgt aus dem laufenden Haushalt (woher sonst?). In Summa bleibt es beim Altbekannten: Der Krieg – und seine Wirtschaftskomplexe – dienen allein den Reichen. Die Armen stellen die Leichen. Die astronomische Hochrüstung wird sondergleichen mit einem Klassenkampf von oben einhergehen, der zugleich all jene Lebensfelder weiter schwächt, die – im Sinne der sozialen Verteidigung – allein ein Gemeinwesen widerstandsfähig machen können. Nie – nie – ist das Geld da für jene Aufgaben, denen ein Friedens- und Lebensministerium nachgehen würde.
Doch über Nacht kann für den Kriegsminister jede noch so aberwitzige Summe herbeigezaubert werden.
Die Sozialisierung auch der „progressiven Jungen“ und die Formatierung des öffentlichen Meinungsbetriebes sind inzwischen weithin im Sinne der militärischen Heilslehre abgeschlossen. Deshalb mag es hilfreich sein, ganz anders gestrickte Menschen aus der Vergangenheit – Nonkonformisten und Liebhaber der Vernunft – zu Wort kommen zu lassen. Solches ermöglicht die in diesem Beitrag dargebotene Auswahl von historischen Wider-Worten.
Der Österreicher Moritz Adler (1831-1907), der im 19. Jahrhundert zu den wenigen Pionieren der Friedensbewegung im deutschsprachigen Raum zählte, konstatierte (Adler 2024): „Wie einem unvermeidlich hereinbrechenden Sturm, geben … [Gelehrte wie Ungelehrte] dem heranziehenden Militarismus, ohne Kampf und die Hände in den Schooß gelegt, die aufkeimenden Saaten ihrer Civilisation Preis! […] Seit Menschengedenken, sagen diese hochweisen Herren, habe es Kriege gegeben, also müsse es auch ferner Kriege geben, so lange die Menschen eben Menschen sind, und es können auch in den spätesten Zeiten Menschen ohne Kriege, gar nicht gedacht werden.“ (1868) – „Bösen Dämonen vergleichbar, in fürchterlicher Mannigfaltigkeit aufgestapelt, starren sie uns überall entgegen, die kleinen, die zierlichen Mordmaschinen bis zu den plumpen Ungethümen, deren einmalige Benützung
(?!) ein Vermögen verschlingt und Hunderte von Menschenleben und mit saurem Fleiss erworbene Güter begräbt.“ (1893)
Eduard Loewenthal (1836-1917) stammte aus einer jüdischen Familie in Württemberg und musste aufgrund seiner publizistischen Arbeit wider den Militarismus mehrmals staatliche Repressionen erleiden. Er schrieb 1870 in „Der Militarismus als Ursache der Massenverarmung“: „Europa muß nahe daran sein, aus dem Leime zu gehen, wenn man bedenkt, welche furchtbare Anstrengung es seinen Beherrschern verursacht, dasselbe noch einigermaßen zusammen zu halten. Diese Anstrengung würde uns allerdings wenig kümmern und uns höchstens als Beweis von beschränkter oder imperialistischer Weltanschauung gelten, wenn nicht die Völker selbst am meisten darunter zu leiden und die gesammten Kosten des diplomatisch-militärischen Thurmbau’s vom modernen Babylon zu tragen hätten. – Wir glauben, es ist die höchste Zeit, daß die Völker Europa’s und zunächst die europäische Presse, in ihrer Gesammtheit sich ernstlich und unermüdlich der Frage bemächtigen, wie das Krebsübel der stehenden Heere und die damit verknüpfte unerschwingliche Steuerlast zu beseitigen seien. […] Während die Herrschaft des Geistes und der Intelligenz den allgemeinen Wohlstand und die Würde der menschlichen Gesellschaft im Einzelnen und Ganzen heben würden, ist die Militär- und Kasernenwirthschaft ganz dazu angethan, das Volk auszusaugen, zu entnerven, zu demüthigen und zu entsittlichen. Kurz, eine natürliche Folge der physischen Gewaltherrschaft und ihres Aufwandes ist der Pauperismus oder die Massenarmuth, das Übergewicht der Geldherrschaft und die damit verbundene allgemeine Demoralisirung. […]“ (Loewenthal 2024)
Der Jesuitenpater Georg Michael Pachtler (1825-1989), ein früher Fundamentalkritiker des Militarismus, schrieb im Jahr 1876: Militarismus ist „im engsten Sinne die Beanspruchung aller lebenden und todten Kräfte des Volkes für den einzigen Zweck des Krieges. […] Das wichtigste, höchste und allgemeinste Gewerbe der Gegenwart ist das Waffenhandwerk geworden. Die Bewaffnung selbst ist so vervollkommnet, die Vernichtungsmittel zu Wasser und zu Lande so gesteigert, daß vielfach die früheren Festungen und Schiffe kaum noch brauchbar sind, ein ganz neues Exercitium eingeführt werden mußte. […] Die Ergebnisse der geistigen Arbeit dienen den Zwecken der Vernichtung; das bestcivilisirte Volk wird jenes sein, welches die meisten und passendsten Kriegsmittel zur Zerstörung hat. […] Die todten Kräfte des Volkes dienen dem nämlichen Zwecke. Vor Allem wird die Steuerkraft übermäßig angespannt, der Nationalreichthum für den Unterhalt der bewaffneten Massen verwendet. […] Das konstitutive Merkmal der krankhaften Militärwirthschaft ist, daß das Kriegswesen oberster Staatszweck wird. […] Der Hauptnachdruck des politischen Lebens fällt auf den Krieg, welcher folgerichtig jedes Jahr den größten Theil des Staatseinkommens verschlingt. Daraus ergibt sich die Überbürdung des Volkes mit Steuern, stiefmütterliche Behandlung der übrigen Gebiete des staatlichen Wesens, während die militärische Organisation bis inʼs Einzelnste herab als die vorzüglichste Geistesthätigkeit gilt. So aber wird mit der Zeit der Schwerpunkt des ganzen gesellschaftlichen Lebens der Völker verschoben und auf den Krieg mit seinen Zerstörungsmitteln hingelenkt.“ (Pachtler 1876)
Der linksliberale Antimilitarist Ludwig Quidde (1858-1941) vermerkte in seiner Anklageschrift „Der Militarismus im heutigen Deutschen Reich“ (1893) zu den innenpolitischen Folgen des deutschen Aufrüstungswahnsinns: „Wie elend es auf dem Gebiete des Volksschulwesens in Preußen vielfach noch bestellt ist, wie die Zahl der Kinder, die von einem Lehrer zu unterrichten sind, das Doppelte des Zulässigen beträgt und wie die Wohnungsverhältnisse vielfach jeder Beschreibung spotten […]. – Die Mißstände sind zum Teil so himmelschreiend, daß für ihre Beseitigung einiges hat geschehen müssen; um ihnen aber ausreichend zu begegnen, fehlen die Mittel, denn diese Mittel werden aufgefressen vom Militär, und es fehlt ein Interesse, das sich so energisch durchzusetzen wüßte, wie jede militärische Forderung. […] Doch auch rein materiell beeinträchtigt die Vorherrschaft der militärischen Forderungen aufs schwerste die Kulturinteressen und unsere wirtschaftliche Entwicklung. […] Bezeichnender noch ist
das riesige Anschwellen der Reichsschuldenlast, das ganz vorzugsweise durch Ausgaben für Heer und Flotte veranlaßt ist. […] So drückt denn der Militarismus, auch ganz abgesehen von dem Interesse, das er allen übrigen Verwaltungszweigen entzieht, rein finanziell auf das ganze Gebiet der inneren Verwaltung. – Und mit ähnlicher Schwere drückt er auf das ganze Wirtschaftsleben, durch die Erhöhung der Steuerlast und durch die Entziehung so vieler rüstiger Arbeitskräfte. […] Innerhalb der Regierung kann von einem entschiedenen Widerstande nicht die Rede sein. […] Auch der Reichstag hat gegenüber den Forderungen der Militärverwaltung nicht die Kraft des Widerstandes, wie gegenüber allen übrigen Posten des Budgets“. (Quidde 2024)
Der Bankier, Großunternehmer und russische Staatsrat Johann von Bloch (1836-1902), aufgewachsen in Polen als Sohn einer ärmlichen jüdischen Handwerkerfamilie, veröffentlichte 1898 in sechs Bänden sein monumentales Werk über den modernen Krieg im Industriezeitalter. In einem „Nachtragsband“ schreibt er u.a.: „Die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, ein Bild der wahrscheinlichen politischen, wie ökonomischen Ergebnisse, die heute ein Krieg zwischen Großmächten zeitigen würde, zu geben, könnte ziemlich leicht erscheinen, da es unbestritten ist, dass diese Ergebnisse entsetzliches Elend zeitigen müssten. […] Ich beweise ferner, dass der bewaffnete Friede […] nichts anderes, als ein versteckter Krieg ist, und dass diese Situation, die bereits eine chronische geworden ist, in zweierlei Art schwer auf Europa lastet. – Sie verschlingt zunächst einen großen Theil des flüssigen Kapitals, also der Gesamtheit der nationalen Ersparnisse, und verwandelt sie in Rüstungen; dann verhindert sie diese Kapitalien der Entwicklung des Handels, der Industrieproduktion beizustehen; sie zwingt zur Vermehrung der Steuern und entwickelt dadurch die Unzufriedenheit mit den Staatseinrichtungen zu einer solchen Höhe, dass schließlich die gesamte gegenwärtige soziale Ordnung gefährdet wird. […] Woher nehmen die Staaten das Geld? – – Sie entreißen es den armen Leuten, den Bedrängten. Sie stecken dieses Geld, dessen sie nötig hätten, um die von Tag zu Tag ernster werdende soziale Bewegung zu befriedigen, in die Rüstungen. […] Vergessen wir ferner nicht die Tätigkeit der zahlreichen Menschen, die die ungeheure Ungerechtigkeit eines Staates erkennen, der das Blut und den Schweiß des Volkes einem Mordinstrument widmet und dabei für die dringendsten Bedürfnisse dieses Volkes keine Mittel hat.“ (Bloch 2024)
Am Vorabend des 1. Weltkrieges ist auch der gewaltfreie Anarchist und spätere Revolutionär Gustav Landauer (geb. 1870, ermordet 1919) als Ankläger der Hochrüstung hervorgetreten: „Aber dieser bewaffnete Frieden selbst, mit den Entbehrungen und Opfern, die er den Armen in Form von Steuern und Leistungen auferlegt, mit der Geistlosigkeit und Angstgesinnung, die er mit sich bringt, […] ist ja schlimmer als der schlimmste Zukunftskrieg. […] Wie Goethe das Christentum anklagt: ‚Opfer fallen hier. ǀ Weder Lamm noch Stier, ǀ Aber Menschenopfer unerhört‘, so fordert auch dieser seltsame Krieg [d.h. der Hochrüstungsprozess, pb] […] unsagbare, in keiner Statistik festzustellende Menschenopfer, ohne daß die Leiber der Menschen durch Wunden durchbohrt werden.“ (Der Sozialist, 4.4.1909) – „Karl Liebknecht […] hat gezeigt, wie es die großmächtige Waffenindustrie ist, die mit Hilfe einer weitverzweigten Geheimorganisation die Völker gegeneinander aufhetzt, Konflikte künstlich erregt und schürt und immer neue Bewaffnungen und Heeresverstärkungen durch ihr Geld und dessen Einwirkung auf Presse, Agitatoren und Beamte herbeiführt. […] Das Werk … ‚Kriegsgeist. Ein Beitrag zur Geschichte der Menschheitsprüfungen‘ [1909/10, Ludwig Pfeiffer] … ist die aus intimer Kenntnis stammende Enthüllung über den Zusammenhang zwischen Waffenindustrie, Großfinanz, militärischen Abnahmekommissionen, chauvinistischer Propaganda und Kriegsrüstungen.“ (Der Sozialist, 1.5.1913)
Rudolf Goldscheid (1870-1931), Pionier der Soziologie im deutschsprachigen Raum und Pazifist, konstatierte 1912: „Jede Kanone, jedes Panzerschiff stellt das Äquivalent für eine bestimmte Summe geopferter Menschenleben und unbehobener sozialer Übel dar.“ In seinem Text „Das Verhältnis der äußern Politik zur innern“ (Juni/September 1914) zitiert er eingangs folgende Bemerkung des ehemaligen Reichskanzler Fürst Bülow: „Unsere auswärtige Politik musste in den ersten Dezennien des Flottenbaues unter abnormalen Verhältnissen arbeiten: die Rüstungen standen nicht im Dienste der Politik, sondern diese stand bis zu einem gewissen Grade im Dienste der Rüstungsfragen.“ Astronomische Rüstungsausgaben belasten die Völker und füllen die Kassen der ‚unproduktiven‘ Totmachindustrien. Die Menschen sehen sich im Kontext von Angstpropaganda und Sicherheitsversprechen genötigt, „gerade jene Waffen zu segnen, die gegen sie selbst gerichtet sind“. Der hochgerüstete „bewaffnete Friede ist eben zugleich der stärkste Damm gegen die Ausgleichung der Gegensätze im Innern, gegen die Beseitigung jener künstlichen Niveaudifferenz, die den Strom der Volksarbeit auf die Mühle der Bevorrechteten lenkt.“ Kurzum: „Die herrschenden Klassen wären ganz außerstande, ihre bevorzugte Stellung aufrecht zu erhalten“, wenn eine aggressive Außenpolitik „diese nicht kontinuierlich stärken und rechtfertigen würde“. Goldscheid schreibt über den brandgefährlichen Hochrüstungskomplex, der nach innen die Besitz- und Machtverhältnisse zementiert: „Eine neue Massenpsychose hat die Völker ergriffen: nationale Nervosität. Um sich von dieser zu befreien, will man lieber früher als später losschlagen. – Dazu kommt, dass die Riesensummen für die Rüstungen nur aufgebracht werden können, wenn die entsprechende Seelenverfassung in den Menschen vorhanden ist. Die Kriegsfurcht muss darum noch künstlich genährt werden, und zwar so, dass sie sich in Kriegsbegeisterung umwandelt. Alle Völker müssen also in kriegerischem Geiste erzogen werden, und da dies dem natürlichen Geist unseres Arbeitszeitalters widerspricht, so muss diese Erziehung schon bei der Jugend beginnen. An diese Tendenzen knüpft das Rüstungskapital mit seinen spezifischen Interessen naturgemäß an, besonders indem es sich die Presse dienstbar zu machen sucht, um die öffentliche Meinung so zu bearbeiten, dass sie all das gutheißt, was das Rüstungskapital braucht, soll es in seinem Zinserträgnis nicht geschmälert sein. Was der Rüstungsindustrie um so leichter gelingt, als an ihr alle jene Produktionszweige mitinteressiert sind, denen durch die Höhe der Rüstungsausgaben die Führerschaft in der Vertretung der Produzenteninteressen zufällt.“ Zur Ideologie der vermeintlichen ‚Friedenssicherung mit immer mehr Waffen‘ heißt es: „Entweder Demokratie und Völkerverständigung werden eine parallele, sich wechselseitig fördernde Entwicklung nehmen, oder der internationale Antagonismus, mit seiner Friedenssicherung durch Rüstungssteigerung allein, wird die Auflösung der Demokratie einleiten, den Absolutismus in veränderter Gestalt wieder zur Herrschaft bringen, und so durch äußerste Entfesselung der Machtinstinkte schließlich einen Weltkrieg entzünden“. (Goldscheid 2024)
Ausgerechnet – oder gerade? – der Revisionist Eduard Bernstein (1850-1932) verließ 1917 die SPD, da die Mächtigen im Parteiapparat in Treue zum deutschen Kriegsstaat den Herrschenden alle Wünsche erfüllten. Er war aber schon vor dem ersten Weltkrieg als Kritiker der in den Abgrund führenden Hochrüstung hervorgetreten und schrieb in seinem Aufsatz „Wie man Kriegsstimmung erzeugt“ (Januar 1912): „Es untersteht leider keinem Zweifel, dass die Ereignisse der zweiten Hälfte des Jahres 1911 der Friedensbewegung einen schweren Schlag versetzt haben … [Es] führen am Jahresende die Verfechter der Rüstungen und die Anwälte des Unfrieden säenden Misstrauens von neuem das große Wort. Soweit Deutschland in Betracht kommt, wird dies am greifbarsten dadurch veranschaulicht, dass im gegenwärtigen Wahlkampf für den Reichstag nicht eine bürgerliche Partei für die Forderung: ‚Verminderung der Rüstungsausgaben durch internationale Abmachungen‘ einzutreten wagt, die Parteien der Mitte und der Rechten, d.h. der kommenden Reichstagsmehrheit, dagegen durch den Mund ihrer Wortführer unumwunden für gesteigerte Rüstungen plädieren.“ (Bernstein 2024)
Der antimilitaristische Dichter Erich Mühsam (1878-1934, im KZ ermordet) warnte Anfang 1914 in seiner anarchistischen „Zeitschrift für Menschlichkeit“ (Kain) vor der Zurüstung zum „großen Morden“ (Mühsam 2025): „Mit zwei Milliarden Mark muss jährlich die Henne gefüttert werden, die unter dem Namen ‚Deutsche Wehrmacht‘ im bedrohten Vaterlande herumgackert. Jetzt ist sie mit einer Extramilliarde noch fetter aufgeplustert worden und beansprucht infolgedessen fortan noch erheblich mehr Getreidekörner aus den Äckern des deutschen Volkes als bisher. Der Geflügelzüchter Michel ist ein Schafskopf, denn er merkt nicht, dass das meschuggene Huhn ihm nichts als Kuckuckseier in den Stall legt. Eines guten Tages aber wird es ihm schmerzlich fühlbar werden, wenn nämlich der zärtlich gepflegte ‚bewaffnete Friede‘ an Überfütterung krepiert, seine Küken aber auskriechen und sich die missgestalteten Kreaturen als Krieg, Hunger und Pestilenz über das Land ergießen. – Die Erbpächter der deutschen Ehre und der deutschen Phrase möchten das 43jährige Friedensvieh schon längst zum Platzen bringen. Sie ängstigen deshalb den dummen Michel heute mit diesem, morgen mit jenem Bauernschreck und heißen ihn zur Abwehr immer größere Mengen seiner schwitzend erarbeiteten Profite in die Armee hineinstopfen. Fehlt bloß noch ein geeigneter Anlass – und der Krieg gegen den Erbfeind ist fertig.“ (Februar-Heft) – „In diesem Zeitalter
raffiniertester technischer Zivilisation gibt es für den Erfindergeist immer noch keine höheren Aufgaben als die Vervollkommnung der kriegerischen Mordinstrumente. Wessen Gewehre und Kanonen am weitesten schießen, am schnellsten laden, am sichersten treffen, der hat den Kranz.“ (Mai-Heft)
Kurt Eisner (geb. 1867, ermordet 1919), erster Ministerpräsident des Freistaates Bayern, verließ 1917 die das Kriegssystem stützende SPD, um mit den Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) den deutschen Militarismus zu bekämpfen. Ende 1915 beschrieb er den Schwindel der astronomischen Aufrüstungsprofite in seinem Text „Zusammenbruch! Ein Jahrwendgespräch“: „Das Leben ist kein Traum, aber wir verwirren es mit den Traumgespenstern schlimmer Nächte … Doch antworte mir, Mann der Tatsachen, ist es nicht wahr, dass wir vor dem Kriege in allen Parlamenten um jeden Pfennig feilschen mussten, der für Zwecke höherer Kultur, besserer Menschenwohlfahrt gefordert wurde? Schallte uns nicht immer das Wehewort der ‚Finanzlage‘ entgegen, die es den Regierungen leider unmöglich machte, diesen oder jenen an sich wünschenswerten Forderungen mehr wie Sympathien zu schenken! Aus der verzweifelten ‚Finanzlage‘ ist plötzlich über Nacht die unendliche ‚Finanzkraft‘ geworden. Man hat erst neulich Wahlen gegen uns zu machen versucht, indem man den schaudernden Wählern vorrechnete, dass allein unsere Anträge zur Reichsversicherungsordnung jährlich eine Mehrbelastung von 100, 200, 300 Millionen – die Höhe der errechneten Summe ist gleichgültig – erfordert hätten, wenn wir die Macht gehabt hätten, sie durchzusetzen. Jetzt spielen 10, 20, 40, 100 Milliarden keine Rolle mehr. […] Zerstörung, die dadurch möglich wird, dass die Produktionsmittelbesitzer ihre Waren im Ausverkauf auf Kredit hergeben, denen [sic] man durch neue Anleihen die Zinsen zahlt, in der Hoffnung, dass künftig die Massen von der keuchenden Arbeit ganzer Geschlechter die Ansprüche der Zinsgläubiger befriedigen werden. Ein Weltkrieg auf kapitalistischen Kredit, das heißt: Arbeit, Güter, Leben zerstören, für Einzelne Gebirge von Reichtümern auftürmen, für die Völker aber Siechtum, Verkrüppelung, Tod und zinsende Steuerknechtschaft in alle Zukunft. Lässt sich überhaupt ein System menschlicher Ordnung denken, das derart wider alle Vernunft, wider alle Zweckmäßigkeit ist?“ (Eisner 2025)
Der militärisch-industrielle Komplex konnte während der Weimarer Republik unter dem Regiment bürgerlicher Parteien munter sein mörderisches Handwerk (Aufrüstung, geheime Reichswehr …) fortsetzen. Die SPD fiel als Opposition weitgehend aus. „Mit der Parole ‚Kinderspeisung statt Panzerkreuzer‘ kritisierte die oppositionelle SPD im Wahlkampf 1928 die Entscheidung der bürgerlichen Reichstagsmehrheit, Zuschüsse zu Schulkinderspeisungen zu streichen, dem Bau des kostspieligen Panzerkreuzers A hingegen zuzustimmen. […] Entrüstet reagierte die sozialdemokratische Basis, als das nach der Reichstagswahl von 1928 neu gebildete Kabinett unter dem sozialdemokratischen Reichskanzler Hermann Müller einmütig dem Bau des Panzerkreuzers zustimmte, um damit eine Regierungskrise innerhalb der Großen Koalition zu vermeiden“ (Scriba 2014).
In den letzten Jahren der Weimarer Republik war der Pazifismus nicht nur von Rechtsaußen, sondern bei allen bürgerlichen Parteien – einschließlich der Sozialdemokraten – mit einem Feindbild belegt. Am 4. September 1931 schloss der militäraffine SPD-Vorstand Mitglieder der Deutschen Friedensgesellschaft aus der Partei aus. Die CDU-Vorläuferpartei „Zentrum“ stellte vom 30. März 1930 bis zum 30. Mai 1932 den autoritären Reichskanzler Heinrich Brüning, der unter dem Dach sogenannter „Notverordnungen“ am Parlament vorbei agierte. Die Rüstung behielt Vorfahrt, überall sonst wurde auf Teufel komm raus „gespart“. Die soziale Lage der breiten Bevölkerung verschlechterte sich zunehmend, z.T. drastisch. Viele Arbeitslose und sog. „kleine Leute“ wandten sich jetzt der Hitlerpartei zu, die nur rhetorisch „soziale Gerechtigkeit“ (oder auch „Frieden“) im Schilde führte und vom Rüstungskapital Stützung erhielt. Als Anfang 1933 die Macht an die deutschen Faschisten übergeben wurde, brauchten diese auf dem Sektor Weltkriegsbefähigung mitnichten bei Null anzufangen. Die sogenannten republiktreuen Kräfte hatten ihnen – ideologisch und materiell – als Kriegsertüchtiger fleißig vorgearbeitet.
Literatur
Adler 2024 = Moritz Adler: Wenn du den Frieden willst, bereite Frieden vor. Texte wider den Krieg 1868–1899. Norderstedt 2024.
Bernstein 2024 = Eduard Bernstein: Der Friede ist das kostbarste Gut. Schriften zum Ersten Weltkrieg. Norderstedt 2024.
Bloch 2024 = Johann von Bloch: Die wahrscheinlichen politischen und wirtschaftlichen Folgen eines Krieges zwischen Großmächten. Neuedition der Übersetzung von 1901 mit Begleittexten von B.
Friedberg, Manfred Sapper und Jürgen Scheffran. Norderstedt/ Hamburg 2024.
Eisner 2025 = Kurt Eisner: Texte wider die deutsche Kriegstüchtigkeit. Hamburg 2025.
Goldscheid 2024 = Rudolf Goldscheid: Menschenökonomie, Weltkrieg und Weltfrieden. Ausgewählte Schriften 1912–1926. Norderstedt 2024.
Loewenthal 2024 = Eduard Loewenthal: Der Krieg ist abzuschaffen. Friedensbewegte Schriften für das Europa der Völker und einen Weltstaatenbund, 1870-1912. Norderstedt 2024.
Mühsam 2025 = Erich Mühsam: Das große Morden. Texte gegen Militarismus und Krieg. schalom-bibliothek.org 2025.
Pachtler 1876 = Annuarius Osseg [= Georg Michael Pachtler SJ]: Der europäische Militarismus. Amberg: J. Habbel 1876.
Quidde 2024 = Ludwig Quidde: Über Militarismus und Pazifismus. Vier friedensbewegte Texte aus den Jahren 1893-1926. Norderstedt 2024.
Scriba 2014 = Arnulf Scriba: Der Streit um den Panzerkreuzerbau 1928. In: Portal. Deutsches Historisches Museum – Berlin, 19.10.2014.